Junge Menschen mit Förderbedarf bereichern den Arbeitsmarkt

Aus europäischem Forschungsprojekt entsteht Handbuch für Arbeitgeber
Miniguide-Vorstellung
6. Dezember 2016

Als Konrad 16 Jahre alt war, glaubte kaum jemand, dass er eine Ausbildung schaffen könnte. Er war Schüler in einem Förderzentrum mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung und hatte zudem eine schwierige familiäre Situation. Sein Leistungsrückstand in Kernfächern war belastend. Konrad machte ein Berufsvorbereitungsjahr im Gastgewerbe an einer Berufsschule zur sonderpädagogischen Förderung und bekam über die Jugendhilfe einen Platz in einer Wohneinrichtung. Schulisch wurde er besser, auch psychisch war er jetzt stabiler. Doch seine Ausbildung zum Koch muss er trotz intensiver Förderung abbrechen - er war einfach überfordert. Daher beauftragte die Agentur für Arbeit eine intensivere Förderung als zuvor: Konrad konnte an einem Berufsbildungswerk den besonders geregelten und einfacheren Beruf Beikoch erlernen. Das schaffte er, und jetzt ist er mit 19 Jahren wieder in der Ausbildung zum Koch, diesmal im dritten Lehrjahr: „Das wird mit ihm bestimmt klappen!“, ist seine Chefin überzeugt. „Konrad ist immer pünktlich und selten krank, Abmachungen werden zuverlässig eingehalten. Er ist absolut willig.“ Jetzt geht es darum, die Vollausbildung zu einem guten Ende zu bringen. Dafür arbeiten der Ausbildungsbetrieb und die Berufsschule zur sonderpädagogischen Förderung eng zusammen.

Wie können junge Menschen wie Konrad, dessen Namen und Beruf wir zu seinem Schutz geändert haben, beim Übergang von der Schule in den Beruf besser unterstützt werden? Mit dieser Frage beschäftigt sich das europäische Forschungsprojekt „Special Educational Needs Employment Links“ (SENEL), an dem die KJF Schulen mit der Fachakademie für Heilpädagogik und der Berufsschule Sankt Georg in Kempten als Deutsche Partner beteiligt sind. Am 5. Dezember haben sich rund 100 Experten aus dem In- und Ausland im Allgäu getroffen und ein Handbuch für Arbeitgeber vorgestellt.

Dieser „Miniguide“ gibt Firmen Informationen und Tipps für die Anstellung von Menschen mit Förderbedarf und Behinderungen. Beispiele aus Finnland, England, Tschechien und Deutschland zeigen, wie berufliche Integration nach dem Abschluss der Schule gelingt: „So genannte Förderschulen sind ebenso inklusiv, indem sie ihren Schülern den Weg ebnen, sich dauerhaft im Berufsleben zu integrieren. Mit gezielter Förderung erreichen wir einen guten Übergang“, so Wolfgang Luther, Abteilungsleiter Schulen bei der Katholischen Jugendfürsorge (KJF). Arbeitgebern ist der Kontakt zu Sozialarbeitern und zu Förderberufsschulen wichtig, wenn Auszubildende Probleme haben. Durch ein Netzwerk von Kontakten erfahren Schüler über Lehrer und Sozialarbeiter von einem Ausbildungsplatz. „Wichtig ist, dass der Auszubildende selber will und motiviert ist, seinen Weg zu machen. Da helfen verschiedene Institutionen dann auch mit allen Mitteln“, so Luther. Damit zielgerichtet Personalverantwortliche unterstützt werden können, soll der Miniguide jeweils an die nationalen Gegebenheiten angepasst werden. Daher werden die Experten-Rückmeldungen der Allgäuer Fachtagung in ein regionales Handbuch übernommen.

„Inklusion geht uns alle an“, ist Landtagspolitiker Thomas Gehring überzeugt. Als Pate unterstützt er das Projekt: "Unsere Herausforderung ist, neue Arbeitgeber zu erreichen und über die Unterstützungsangebote zu informieren." Gerade in Deutschland gäbe es im Vergleich zum Ausland ein breiteres Netzwerk, das Menschen mit Behinderungen und Unternehmen nutzen können. Bei dem Fachtag waren alle an Bord, Firmen wie Bosch oder LEGOLAND, aber auch Behindertenbeauftragte, Integrationsdienste sowie Schulen und Berufsbildungswerke. Gemeinsam haben sie das Handbuch diskutiert und dem SENEL-Team Impulse für die weitere Arbeit mitgegeben.

„Denn oft scheitern Ausbildungsverhältnisse an Kleinigkeiten“, so Schulleiter Klaus Bernegger. „Gezielte Unterstützungsangebote wie sie im Miniguide beschrieben und in den Fallstudien veranschaulicht sind, könnten diese retten.“ Ob finnische Verhältnisse die richtigen sind, bezweifeln die Experten indessen. Das „Musterland für Inklusion“ habe andere Voraussetzungen als Deutschland, wo die duale Ausbildung im Vordergrund steht. Es fehle der Kontakt der Auszubildenden ins Unternehmen. Umso wichtiger sei das gegenseitige Verständnis, zu dem der Miniguide beitragen soll.

Eines dieser Unterstützungsangebote für Arbeitgeber ist die Berufsschule zur sonderpädagogischen Förderung. Allein an der Berufsschule Sankt Georg sind 300 von 400 Schülern im Rahmen ihrer Ausbildung in Betrieben. Dr Sheena Bell, Leiterin des SENEL-Projektes von der Universität in Northhampton, betonte angesichts der Fachtagung: „Es ist eine internationale Herausforderung, junge Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt zu integrieren; es ist kein Problem eines Landes allein. Es gilt, Herzen und Köpfe der Unternehmer zu erreichen, um ihnen eine Chance auf einen Arbeitsplatz zu ermöglichen.“

Peter Litzka, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Kempten-Memmingen und Projektpate, betonte, dass alle Projektaufgaben dazu geeignet seien, die Chancen auf Beschäftigung junger Menschen mit Förderbedarf oder Behinderungen zu verbessern. Er hatte auch eine Anregung für den noch ausstehenden „Passport“ für junge Menschen mit Förderbedarf: Sie sollen sich mit ihrer Motivation auseinandersetzen und Arbeitgebern ein klares Signal geben, dass sie auch arbeiten wollen.

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Video bei a.tv Allgäu

 

Weitere Informationen zum Projekt gibt es online auf www.jamk.fi/senel. Es wird unterstützt durch die Europäische Kommission. Neben den KJF Schulen sind die Universitäten und Schulen aus den Projektländern beteiligt. Bis 2017 soll zusätzlich ein „Passport to Employment“ für (junge) Menschen mit Förderbedarf und Beeinträchtigungen gemeinsam entwickelt werden.